Geschichte der Stadt Guben Teil 4
Östlich der Neiße bildete sich das mittelalterliche Stadtbild heraus, dessen Anlage bis zur Zerstörung 1945 vorhanden war. Im Mittelpunkt stand die mächtige, aber schmucklose spätgotische Hallenkirche von 1555, die heute in unserer polnischen Nachbarstadt Gubin als Ruine zu sehen ist. Hier befand sich auch das im Stile der Spätrenaissance in den Jahren 1770/71 umgebaute Rathaus, das, 1945 vollständig niedergebrannt, im Jahre 1986 in Gubin im historischen Gewand neu erstand und als Kulturhaus genutzt wird.
Das Tuchmacherhandwerk erlangte schon im Mittelalter überörtliche Bedeutung. Im Verlaufe der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert wurde Guben ein bedeutender Standort der Niederlausitzer Textilindustrie. In der hiesigen Klostermühle am Schwarzen Fließ, der späteren Tuchfabrik Huschke, richtete der in Haslington in England geborene William Cockerill mit Unterstützung der preußischen Regierung nach 1816 eine der ersten beiden Maschinenspinnereien der Niederlausitz ein. Bereits 1818 ließ er hier eine kleine Dampfmaschine aufstellen. Die hochproduktive Lohnwollspinnerei versorgte bis 1837 sämtliche Gubener Tuchmachereien mit Garn. Als ein Pionier der Industrialisierung in hohem Ansehen stehend verstarb William Cockerill 1847 in Guben. Er war in zweiter Ehe mit der Tochter des preußischen Finanzministers von Maaßen verheiratet – eine durchaus interessante Verbindung für einen Unternehmer, könnte man meinen. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt! Das weitverzweigte Familienunternehmen der Cockerills – die Firma existiert in Belgien noch heute – hatte seinen Hauptsitz in Lüttich. Die Cockerills gelten als die Begründer der belgisch-niederländischen Stahl- und Eisenindustrie und des Maschinenbaus, die 1815 nach Preußen einwanderten.
Bekannter noch als die Tuchindustrie ist die Gubener Hutindustrie. Begründer dieser Industrie in Guben war der aus Forst stammende Carl Gottlob Wilke, der 1822 in der Gubener Altstadt eine Hutmacherwerkstatt einrichtete. Wilke, 1796 in Forst geboren und 1875 in Guben gestorben, erfand, gleichlaufend mit ähnlichen Entwicklungen in Frankreich und England, den wasserfesten Wollfilzhut, indem er das Verfahren des Dekatierens, also der Behandlung des Wollfilzes mit heißem Dampf, anwandte. Wilke ist somit der Erfinder der deutschen Wollhutfabrikation. 1854 stellte er seinen verkaufsfähigen Wollhut vor. Sein Betrieb wuchs schnell. 1860 beschäftigte das Unternehmen Wilke bereits 80 bis 100 Arbeiter. 1864 erfolgte deshalb der Aufbau einer neuen, größeren Fabrik in der Gasstraße, die noch heute vorhanden ist, wenn hier auch zurzeit nicht produziert wird. Unter Wilkes Sohn Friedrich (1829 bis 1908) wurde das Familienunternehmen weiter ausgebaut. Um 1900 lieferte man täglich 2.400 fertige Hüte aus und exportierte sie in großer Zahl. Friedrich Wilke erwarb sich auch im sozialen Bereich bleibende Verdienste. So stiftete er aus Anlass des Todes seiner Tochter Naemi, die im 14. Lebensjahr an Typhus verstorben war, ein Kinderkrankenhaus in Guben.