Begegnungen

1944 habe ich Guben verlassen, um in Beelitz bei Berlin eine Haushaltungsschule zu besuchen. Der schreckliche Krieg endete kaum ein Jahr später 1945. Wir 60 Mädchen wurden  Anfang März 1945 nach Hause geschickt, aber wo sollte ich hin? In Guben tobte schon der Krieg, meine Mutter musste flüchten. Die Brücke wurde gesprengt und mit ihr fiel auch das Knusperhaus zusammen. Die Nachricht wo sie untergekommen ist hat mich nicht erreicht. In dieser Situation entschloss ich mich zu meiner Tante nach Berlin zu gehen. Hier erlebte ich das Ende der NS-Zeit… Heimat war verloren. Es dauerte einige Wochen bis langsam Ordnung einkehrte. Neue Grenzen wurden gezogen und auch streng bewacht, Guben zerfiel in zwei Teile, es gab kein zurück.

So dauerte es 35 Jahre bis ich wieder am Neißeufer stand. Ich hatte einen Gubener geheiratet und wir feierten unsere Silberhochzeit in Guben. Da stand ich am Ufer schaute auf die Trümmer der Nordbrücke und durfte nicht über das Wasser. Das war 1979.

In der Zwischenzeit hat sich viel verändert, die Völker sind zur Ruhe gekommen, die Grenze ist anerkannt und neue Abkommen wurden getroffen. Jetzt ist es erlaubt ohne Kontrolle von der BRD nach Polen zu gehen. Es bildet sich ein neues Europa.

So bin ich denn 2011 über die Insel spaziert, am Uferweg entlang zu den Resten der Nordbrücke. Die Trümmer sind beseitigt aber noch stehen Reste des Knusperhäuschens. Früher war hier eine Wiese bis an das Ufer der Neiße. Jetzt sind große Bäume dort gewachsen. Neugierig bin ich in die kaputten Räume geklettert und habe mich umgesehen. Ich konnte kaum glauben, daß wir in den kleinen Räumen gelebt haben. Die Treppe, die einst zur Grünen Wiese führte existiert nicht mehr aber ich bin den Hang hinauf geklettert und habe auch dort nach Spuren gesucht. Sträucher und Unkraut hat sich angesiedelt. Ich habe aber in dem Dickicht den Grundriss des Hauses gefunden.

Mein Tun wurde  beobachtet und als ich langsam weiter ging sprach mich eine Frau an. Leider sprach Sie nur polnisch, ich nur deutsch. Wir verständigten uns durch Gesten. Es gesellte sich eine zweite Frau zu uns und beide luden mich in ihr Haus ein zu einer Tasse Kaffee. Schnell wurde ihr Mann aus dem Garten geholt. Er sprach ein wenig Deutsch. Leider hatte ich keine Zeit mehr denn mein Mann erwartete mich. Ich mußte versprechen sie acht Tage später noch einmal zu besuchen. Bei diesem Treffen erfuhr ich das auch diese Menschen umgesiedelt waren. So verbindet uns ein ähnliches Schicksal. Schade, daß es mit der Unterhaltung so schwer war. Die Gastfreundschaft wird aber einen festen Platz in meiner Erinnerung behalten. Vielleicht finde ich einen Dolmetscher, dann werde ich dort noch einmal zu Besuch sein ….

Christel Schollmeyer geb. Wieczorek

Heilronn, 2014

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